Brückenschlag #21/1
GEDANKEN ZU BESONDEREN UND AUSSERORDENTLICHEN LAGEN
25.01.2021
In der Krise ist eine Strategie zwingend
Logisch, es braucht Ziele. Wenn wir aber Ziele und Strategie gleichsetzen, unterläuft uns ein essenzieller Denkfehler: wir vermischen den Hafen und den Leuchtturm.
Der Hafen ist das Ziel, unsere Vision. Der Leuchtturm hingegen leuchtet auf dem Weg zum Ziel und gibt uns Orientierung. Die Strategie hat die Aufgabe eines Leuchtturms. Sie muss uns den Weg aufzeigen, nicht den Hafen beleuchten.
Die normale Lage können wir uns als Segelturn auf einem grossen Binnensee vorstellen. Auch bei schlechtem Wetter oder in der Nacht können wir auf Sicht fahren. Die Dörfer am Ufer geben uns ausreichend Orientierung und es genügt, wenn der Hafen beleuchtet und die Einfahrt markiert ist. In der ausserordentlichen Lage befinden wir uns aber bei Sturm auf dem Meer. Der Hafen liegt geschützt in einer Bucht. Er mag noch so gut beleuchtet sein, ohne Leuchtturm an der Küste finden wir ihn nicht. Wir riskieren, vorher auf eine Sandbank aufzulaufen oder gar an den Klippen zu zerschellen.
Kommunikation ist das Licht
Wenn die Strategie der Leuchtturm ist, dann ist die Kommunikation das Licht, das dieser aussendet. Ohne weitherum sichtbares Licht dient der Leuchtturm höchstens als touristisches Wahrzeichen, das wir bestaunen und fotografisch festhalten.
Der Leuchtturm nützt auch nichts, wenn das Licht flackert. Auch viele kleine Lichter anstelle des einen grossen Scheinewerfers sind nicht von Nutzen. Selbst wenn sie lichttechnisch dieselbe Leistung zu erzeugen vermögen, erzielen sie auf hoher See keine ausreichende Wirkung. Und nur darum geht es bei einem Leuchtturm: stetige und ausreichende Lichtaussendung zur Orientierung.
Für die Kommunikation bedeutet dies, dass sie gebündelt, konstant und präzise sowie präsent und erkennbar sein muss. In der Krise gibt die Kommunikation am besten Orientierung, wenn wir ihr ein Gesicht geben. Wir sollten die Krisenkommunikation bei einer Person konzentrieren und dieser die notwenige Bühne geben, um leuchten zu können. Wie wir am Beispiel beim Absturz der Swissair-Maschine vor Halifax lernen konnten, muss erfolgreiche Kommunikation auch nicht zwingend Chefsache sein.
Den langfristigen Fokus behalten
Krisen und ausserordentliche Lagen haben es in sich, dass die Situation unklar ist, Ereignisse nur bedingt vorhersehbar sind und sich die Lage schnell ändern kann. Als Führungskraft reagieren wir auf zunehmende Unsicherheit häufig damit, dass wir den Führungsrhythmus verkürzen. Wir fokussieren uns auf die Zeitspanne, welche wir noch überblicken können. Als Folge decken auch unsere Entscheide und Massnahmen einen immer kürzeren Zeitraum ab. Wir riskieren, Entscheide zu fällen, bevor die Massnahmen des vorhergehenden Entscheides überhaupt Wirkung erzielen konnten. Ist dies der Fall, haben wir als Führungskraft den strategischen Weg aus den Augen verloren. Es ist, als würden wir mobile Leuchttürme bauen, die wir immer wieder dorthin verschieben, wo wir gerade Licht brauchen. Für die Segelcrew auf hoher See, die eigenverantwortlich den Hafen ansteuern muss, ist dies bald einmal verwirrend und kontraproduktiv – ordre, contrordre, désordre!
Gerade für höhere Führungskräfte braucht es in der Krise besonders viel Achtsamkeit und Disziplin, um die richtige Balance zwischen Tatkraft oder stoischem Aussitzen zu halten.
Erlebnisse sind noch keine Erfahrungen
Zum Schluss noch ein Gedanke zu den vielfältigen Erlebnissen im vergangenen Jahr. Wir haben viel Neues erlebt: wochenlanges Homeoffice, Zoom-Meetings, virtuelle Kaffeepausen, oder auch Maskentragen, Plexiglasscheiben, soziale Distanz.
Bereits im Sommer wussten wir, dass es zu einer zweiten Welle kommen werde. Wir hatten das Gefühl, dass wir diese dank der Erfahrungen aus der ersten Welle besser im Griff haben würden. Die Realität hat uns eines Besseren belehrt. Denn Erlebnisse sind noch keine Erfahrungen.
Erlebnisse führen mit der Zeit zwar zu Erfahrungen. Aber die Krise hat uns deutlich gezeigt, dass wir in einer schnelllebigen Zeit nicht darauf warten können. Wir sind gefordert, den Erfahrungsaufbau aktiv zu beschleunigen: z.B. mittels stetiger Selbstreflektion, regelmässigem Lessons-Learnd-Austausch und übergreifenden After-Action-Reviews.